Mann und Frau im Essigkrug und was sie von den Wintervögeln lernten

Januar 4, 2017

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Mann und Frau im Essigkrug

Es waren einmal eine Frau und ein Mann. Sie lebten schon viele viele Jahre mit einander in einer armseligen Hütte, die schlecht roch und deshalb von beiden als „Essigkrug“ bezeichnet wurde. Eines Tages war der Mann derart schlecht gelaunt, dass er zur Frau sagte: „Du bist Schuld daran, dass wir in diesem Essigkrug leben müssen! Wären wir nur nicht da!“
Die Frau aber sagte: „Nein, du bist Schuld daran.“ Das aber wollte der Mann nicht so stehen lassen und so zankten sich die beiden eine Weile. Als sie einmal gleichzeitig Luft holen musste, vernahmen sie die Stimme eines Vogels am Dach, der zwitscherte: „Was ist denn los mit euch?“ „Wir haben beide das Essigkrügel satt und möchten auch einmal wohnen wie andere Leute. Dann gäbe es keinen Grund mehr zu streiten und wir könnten zufrieden sein.“, antwortete die Frau. Da  führte das Gold-Vögelchen die Frau und den Mann an ein neues Häuschen, wo hinten dran ein ein Gärtchen war und zwitscherte: „Dies ist euer jetzt! Lebt fröhlich und zufrieden miteinander. Wenn ihr mich braucht, so braucht ihr nur dreimal in die Hände klatschen und rufen:
Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall
!
und schon werde ich da sein.“
Damit flog der Vogel davon und der Mann und die Frau waren froh, dass sie nun ein so schönes Häuschen hatten und nicht mehr in dem Essigkrug wohnten. So verging die Zeit.
Nach einer Weile, es war bereits Herbst geworden und waren in der Nachbarschaft herum gekommen, da hatten sie die großen Bauernhöfe gesehen, mit Stallungen, Gärten, Äckern und vielem Gesinde. Da kam ihnen ihr Häuschen plötzlich ganz armselig vor und gefiel ihnen nicht mehr.

An einem nebeligen Morgen klatschten beide zu gleicher Zeit in die Hände und riefen:
Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“

Witsch, da kam das goldige Vöglein zum Fenster herein geflogen und zwitscherte: „Was wollt ihr beiden?“
„Ach!“, sagten beide wie aus einem Munde, „Das Häuslein ist doch gar zu klein, wenn wir doch auch so einen großen Bauernhof hätten wären wir wirklich zufrieden.“ Das goldige Vöglein blinzle ein wenig mit seinen Äugelein, sagte aber nichts und führte den Mann und die Frau zu einem großen prächtigen Bauernhof mit vielen Äcker, Stallungen mit Vieh, Knechten und Mägden und zwitscherte: „Dies ist euer jetzt! Lebt fröhlich und zufrieden miteinander.“
Der Mann und die Frau sprangen vor Freude einander in die Arme und tanzten. Sie genossen den Winter im warmen Haus mit dem vielen Essen und Trinken und all der Hilfe der Knechte und Mägde. Ein Jahr verging und sie lebten fröhlich und zufrieden im Bauernhof.
Jetzt konnten sie es sich leisten und manchmal mit ihrer Kutsche  in die Stadt fahren. Da sahen sie schöne große Häuser mit 3 Stockwerken und Menschen, die wunderschön gekleidet waren und Hüte trugen.
Nachdem sie mehrmals dort gewesen waren und auch im Kaffee gesessen waren, dachten sie beide: „In der Stadt zu leben ist besser, denn da bräuchten wir nicht mehr zu arbeiten, hätten nicht viel zu tun und hätten mehr Vergnügungen.“
Da sagte die Frau zu ihrem Mann: „Wollen wir nicht besser in die Stadt leben? Ruf du das goldige Vöglein! Wir waren schon lange genug auf dem dreckigen Bauernhof.“ Der Mann aber sagte: „Frau, ruf du das goldige Vöglein!“ „Warum willst du es nicht rufen?“, fragte die Frau. Weil der Mann nicht tat, wie sie es wollte, schlug schließlich sie dreimal in die Hände und hat rief:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal
Goldvögelein überall!“

Da kam das goldige Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen und zwitscherte: „Was wollt ihr beiden?“  „Ach!“ sagte die Frau, „wir sind für das Bauernleben zu müde. Wir möchten auch gern Stadtleute sein und schöne Kleider haben und in so einem großen prächtigen Haus wohnen. Dort werden wir sicher fröhlich und zufrieden sein.“

Das goldige Vöglein blinzle ein wenig mit seinen Äugelein, sagte aber nichts und führte den Mann und die Frau in das schönste Haus der Stadt wo Kristallleuchter von der Decke hingen, Spiegel an den Wänden hingen und die Kästen mit teurem Gewandt  gefüllt waren. Da zwitscherte es: „Dies ist euer jetzt! Lebt fröhlich und zufrieden miteinander.“ „Es gibt auf der Welt nichts Besseres und Schöneres!“, riefen der Mann und die Frau und waren vor Freude außer sich.

Sie lernten über die Jahre die Stadt genau kennen. Sie gingen auf Feste und luden auch ein. So kam es, dass sie sahen, dass es auch Edelleute gab, die in Palästen und Schlössern wohnten. Dort fanden Konzerte und Theaterspiele statt. Oh, das waren wunderbare Erlebnisse! Kein Vergleich zu dem Leben, das sie in dem Stadthaus führten.Und die Frau sagte zum Mann: „Jetzt ist es an Dir, das goldige Vögelein zu rufen.“ Der Mann wollte lange nicht, denn Theater und Konzerte waren nicht so sein Interesse. Schließlich gab er dem Drängen der Frau nach und klatschte dreimal in die Hände und rief:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Golbvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“

Da kam das goldige Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen und zwitscherte: „Was wollt ihr beiden?“  Da sagte der Mann: „Wir möchten gern Edelleute werden! Als Edelleute werden wir fröhlich und zufrieden sein.“ Da aber blinzelte das goldne Vöglein mit den Äuglein und zwitscherte: „Ihr unzufriednen Leute! Werdet ihr denn nicht einmal genug haben? Ich will euch zu Edelleuten machen, es wird euch aber nichts nützen!“ Es führte sie in ein schönes Schloß, wo alles so war, wie sie es sich gewünscht hatten. Das Vöglein zwitscherte: „Dies ist euer jetzt! Lebt fröhlich und zufrieden miteinander.“

Frau und Mann waren lange Zeit sehr fröhlich und zufrieden. Einmal wurden sie in die Hauptstadt zu einem großen Fest geladen. Da sahen sie die vergoldete Kutsche und die goldbestickten Kleider der Königin und des Königs. Alle Leute am Straßenrand schenkten ihre Hüte als die Königskutsche vorbei fuhr. Da klopften dem Mann und der Frau vor Neid das Herz. Kaum waren sie wieder zu Hause in ihrem Schloss, so sprachen sie: „Jetzt wollen wir König und Königin werden. Das soll unser letzter Wunsch an das Vögelchen sein.“ Da klatschten alle zwei gleichzeitig in die Hände und riefen:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall.“

Da kam das goldige Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen und zwitscherte: „Was wollt ihr beiden?“  Da riefen beider aufgeregt: „Wir haben die Königin und den König gesehen. Wir möchten auch gern König und Königin sein.“ Da begann aber das Vöglein ganz schrecklich mit den Augen zu blinzeln, sträubte alle seine Federchen und schlug mit den Flügelchen und zwitscherte: „Wann werdet ihr denn endlich genug haben? Ich will euch zum König und zur Königin machen. Warum nur  habt ihr nimmermehr genug?“ Es führte sie in ein riesiges Schloß und ließ sie auf den Thron setzen. Das Vöglein zwitscherte: „Dies ist euer jetzt! Lebt fröhlich und zufrieden miteinander.“ Und Mann und Frau, Königin und König erließen Gesetze, hielten sich einen großen Hofstaat und häuften unermesslichen Reichtum an. Damit waren sie lange beschäftigt. Der Jubel der Einwohner und Einwohnerinnen beglückte sie. Doch es kam, wie es kommen musste. Sie erfuhren, dass es auch Kaiser und Kaiserinnen gab.

Da sprach die Frau: „Werden wir Kaiser und Kaiserin.“ Doch der Mann sagte: „Nein! Ich will Papst werden!“ Da rief die Frau: „Ho! Wenn du Papst werden möchtest, dann möchte ich die Göttin sein!“
Kaum aber hatten sie dies gerufen, da erhob sich ein mächtiger Sturm und ein großer schwarzer Vogel mit funkelnden Augen flog zum Schlossfenster herein. Er krächzte so laut, dass alles erzitterte: „Alles Materielle, das ihr euch gewünscht habt, wurde euch erfüllt. Alle gesellschaftlichen Schranken hoben sich für euch. Jetzt habt ihr eine Grenze überschritten. Die spirituelle Welt müsst ihr selbst entdecken. Da diese euch bisher nicht wichtig war, geht an den Start zurück und versucht euer Glück ein zweites Mal. Möge die Übung gelingen! “ Damit flog der Vogel davon und mit einem Donnerschlag und Blitz fanden sich Mann und Frau wieder in ihrem ursprünglichen Essigkrug. Sie sahen sich erschrocken um, sahen sich erschrocken an und weinten und klagten so laut und so lange, bis sie keine Stimme und keine Tränen mehr hatten. Sie waren viele Erfahrungen reicher und um alle Häuser und Ämter ärmer geworden. Hilflos und wütend saßen sie da. Wer hatte Schuld? Wie war alles gekommen? Der Mann sah die Frau an. Die Frau sah den Mann an. Sie sahen sich für einen kurzen Augenblick, der so kurz wie ein Augenschlag war im jeweils anderen und erkannten sich selbst. Dann schliefen sie müde und erschöpft ein und der Schlaf der Heilung legte sich über sie. Als sie aufwachten fühlten sie sich fröhlich und zufrieden. Sie schauten sich beide in ihrem Essigkrug um. Da sagte der Mann: „Ich bin Schuld daran, dass wir in diesem Essigkrug leben! Ich hab dir damals die Schuld gegeben – aber ich hab ja auch meinen Teil daran.“ Die Frau staunte über das Gesagte und antwortete. „Ich bin auch Schuld daran, dass wir jetzt im Essigkrug leben. Ich wollte eine Göttin sein.“ Der Mann sprach: „Lass uns also das Beste daraus machen! Sei du meine Göttin und lass mich dein Gott sein!“ Da lachten die Frau und der Mann und umarmten sich und waren glücklich, weil sie wieder ihre Liebe zueinander gefunden hatten.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Und weil die Liebe eine starke Kraft ist, schafften sie es, eine neue gut riechende Holzhütte zu bauen. Die Frau und der Mann fischten gemeinsam und verkauften die Fische am Markt. Vom Gewinn kauften sie Gemüse- und Obstpflanzen, die mit den Jahren viele gute Früchte trugen. So hatten sie genug zu essen und zu trinken. Es machte ihnen Freude, gemeinsam die Sonnenauf- und Untergänge zu sehen und einander Geschichten von früher zu erzählen und neue Pläne zu schmieden, wie sie am besten ein Labyrinth anlegen könnten. Für sie war das Labyrinth zu einem Symbol ihres Entwicklungsweges geworden. Im Winter streuten sie Sonnenblumenkerne und Nüsse für die Vögel aus, damit auch diese ausreichend Futter hatten. Schließlich hatten sie viel von den Vögeln gelernt. Wer weiß, vielleicht legten sie für die Vögel ein Labyrinth aus Sonnenblumenkernen?

Ludwig Bechstein – bearbeitet von mir

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Don Quijote im labyrinthischen Paradies?

Oktober 24, 2016

Don Quijote und seine Verwandten

Don Quijote. Gezeugt von Miguel de Cervantes. Seine Mutter, die Lebenserfahrung, trug das Ihre dazu bei. Don Quijote. 1605 im Gefängnis geboren.

Ich werfe alte Fragen wieder auf.
Kann übermäßige Literatur den Verstand rauben?
Don Quijote war offenbar ihr Opfer. Oder ist gar die Literatur Opfer Don Quijotes, der gegen Windmühlen kämpfte und den Kampf natürlich nur verlieren konnte?
Die Fragen haben sich in den vergangenen 311 Jahren transformiert.
Heute lauten sie: Kann übermäßiger PC-Smartphone-Konsum den Verstand rauben? Wer stürzt sich nicht gerne todesmutig in Abenteuer und Gefahren der digitalen virtuellen Spielwelt? Vielleicht, um das Unrecht zu bekämpfen?  Vielleicht um ewigen Ruhm an den eigenen Namen zu heften?
Ist Rosinantes Name heute „youtube“ ?. Kann Dulcinea von Toboso heute nicht jeden Namen tragen? Sancho ein Roboter?

Don Quijote. Hatte er Verwandte? Tanten, Onkeln, Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins? Auch diese Frage stellt sich: Bin ich, wenn schon keine direkte Nachfahrin nicht eine Verwandte? Und wer sind all die anderen Verwandten?

Hier sei Rose Ausländer zitiert:

Dialog

Endlos
der Dialog

Du und die Blume
du und der Stern
du und dein Mitmensch

Ununterbrochene
Zwiesprache
Funke an Funke

Der König in dir
der Bettler in dir

Deine Verzweiflung
deine Hoffnung

Endloser Dialog
mit dem Leben

I.
Die ursprüngliche Realität und Wirklichkeit aller Menschen bildete ihr Sein in einer Umwelt ohne jegliche elektronischer Unterstützung oder elektronischer Hilfsmittel. Basierend auf dem Körper mit dessen physischen, geistigen und  emotionalen Fähigkeiten galt es, das Lebens zu leben.

Die Voraussetzungen zum Überleben, die Funktionen für Wahrnehmung, Aufnahme und Umsetzung sowie Anwendung und auch jene für Kommunikation waren ausreichend. Diese Basis bildete auch das Potential von Entwicklungen.

Den menschlichen auf allen Ebenen und in allen Bereichen begrenzten Körper zu entgrenzen, diese vorgegebenen Grenzen zu überschreiten, war von Anbeginn ein menschliches Ziel und ist es heftiger denn je.

Das NEIN zur Grenze, das Nein zur Begrenzung, das Nein zu jeglicher Ein- und Beschränkung, ein Nein dem Ausschluss, wählen zu können. Dieses Nein ist Rebellion. Rebellion gegen jene Macht und Kraft, die verwehrt. Aufstand!

Aufstand verkörpert vom Liegen oder Sitzen in den Stand, ins Stehen zu kommen. Aus einer Ruhelage in eine Position eines möglichern Schritts. Weitere Schritte werden zu einem Weg.

Aus dem Paradies kommend haben Menschen auch das JA in sich. Ein Ja zur Grenze, ein Ja zum Bleiben, ein Ja zum An-die-Grenzen-Gehen und nicht darüber hinaus und ein Ja für das Zum-Zentrum-Kommen und Im-Zentrum-Sein.
II.
Mit den neuen Technologien kann die Körpergrenze nun erweitert und überschritten werden. Das Internet gilt als die in der Außenwelt realisierte Möglichkeit der Vernetzung analog zum Gehirn. Das traditionelle Sein beginnt sich mit elektronischen Objekten parallel zur bisherigen Realität und Wirklichkeit zu verbinden. Die Möglichkeit, sich Chips in den Körper implantieren zu lassen und damit bisher (auch art-)fremde Qualitäten zu integrieren, wurde zur Realität.

Zeitgleich zu diesem Weg wird auch ein gänzlich Entgegengesetzter beschritten: Konnten bisher mentale Kräfte nicht nachgewiesen werden, so können diese nun sogar sichtbar gemacht werden. Was bisher als unglaublich galt wurde im wahrsten Sinn des Wortes aus Unglauben ausgeschlossen.

Weil sehr anschaulich sei jene Versuchsanordnung exemplarisch genannte, in der Menschen über Elektroden am Kopf durch die Kraft ihrer Gedanken Objekte in Bewegung setzen. Was bisher als paranormal galt, ist mit etwas Übung von jeder/jedem bei der Steirisches Landesausstellung 2000 mit einer Erfolgsrate von 80% zu erreichen gewesen.

Was ist das menschliche Wesen? Als was wurde es bisher interpretiert, als wird es heute definiert? Wohin kann/soll es (gen/technisch) verändert werden? Welche Möglichkeiten sind noch unausgeschöpft? Was soll warum wie erreicht werden?
III.
Die menschliche Existenz mündet durch vermehrten Einsatz und vermehrte Anwendung elektronischer Objekte außerhalb und innerhalb des Körpers in eine (freiwillige) Isolation, paradox zum grenzenlosen Vernetzsein. Die Emotionalität, mit der sich die BenützerInnen an diese Maschinen koppeln, ist hoch, wie das Bedürfnis nach Sozialkontakten, Gruppenidentitäten zu bilden bzw. einer Gruppe anzugehören (Ö3 Gemeinde, geekchic etc.) zeigt, das auch befriedigt werden will.

Weiters findet eine Beschleunigung aller Lebensvorgänge statt, die nicht nur eine weltanschauliche Entscheidung ist sondern ebenso eine des wirtschaftlichen Umfeldes.

Das Gleichgewicht der Parallelwelten, Balance von Innen und Außen, Ich und Du, Wir und Ihr, zu halten, ist gefragt. Balance. Kein Übergewicht, kein Untergewicht – im Gleichgewicht. Ist dieses Gleichgewicht ein Stabiles, wird es zur Starre – die Lebensenergie bläst und schon ist eine Ungleichgewichtung wieder da. Wie ein kindliches Gleichgewichts-Spiel: in Balance – aus der Balance – in die Balance u.s.w., so ist das Leben als solches.

 

IV.
Es geht bei der Balance auch ums Machen und damit auch um Macht ...

Zum einen die Macht über die eigenen Gedanken. Zum anderen die Kreation von Scheinwelten, Ununterscheidbarkeit zwischen Realen/Virtuellen Welten und von Informationsströmen ermöglicht Macht über andere. Die Auflösung des Wahrheits-Begriffs ist die Konsequenz davon.

Sind bei materiellen Begegnungen Sinn-Erfahrungen gegeben (tasten, riechen, sehen, hören, ev. schmecken) kombiniert mit Sympathie, weitgefächerten Assoziationen bisher gemachter Erfahrungen bzw. Koppelung mit diesen (was Vorurteile/Urteile zur Folge hat) – so ermöglicht die virtuelle Begegnung Reduzierung derselben bei gleichzeitiger Ausweitung der Maskenkapazitäten. Das bedeutet, dass andere Identitäten angenommen werden können, die indirekt mit der ursprünglichen Identität verbunden sind und nie frei davon sein können und dennoch Gegenpole bilden können.

Die Vielfalt scheint eine fast unbegrenzte zu sein, was diese jedoch nicht ist. In Distanz wird sprachlich bzw. in Piktogrammen kommuniziert wobei Abstraktes von der Sendenden sich verkörpert bei der Empfangenden. Der Rollenwechsel ist ein stetiger beim Dialog. Das Verkörperte erzeugt/ist Realität bzw. Projektionsfläche. Dabei nähert sich der Wert des Wahrheitsgehalts der Null. Wenn die Ursprungsidentität als jene angenommen wird, die sich im Prozess der Wandlung zur Pluralität selbst wandelt, wird die Virtuelle Wirklichkeit bei dieser Entwicklung die einzige Wirklichkeit und damit muss Wahrheit neu definieren werden.

 

V.
Zu der Frage: Don Quijotes Verwandte? gesellt sich konsequenter Weise ihr Gegenstück: Don Quijotes Nicht-Verwandte.

Das menschliche Wesen vermag auf sich selbst einzuwirken – mit und auch ohne seinem Bewusstsein. Unabhängig davon entwickelt sich das Bewusstsein evolutionär weiter. Vom Erdenstaub zum Licht sozusagen.

Es gibt auf Erden nichts Ewiges, schon gar kein ewiges Recht. Recht ist etwas Historisches, Veränderliches, Vergängliches. Geschaffen von MachthaberInnen.

Es passt sich chamäleonartig gesellschaftlichen Veränderung an, weil es ebendiese widerspiegelt, sichtbar werden lässt. Oft registrieren wir dies selbst innerhalb eines Regierungswechsels (auch in Demokratien wie der unseren).

Wie es aus der Quantenphysik bekannt ist, beeinflusst sogar der/die BeobachterIn das beobachtete Objekt/Geschehen. Nicht anders geht es zu bei Gericht zwischen RichterIn und Fall. Und so kann logischerweise auf nichts vertraut werden nur in jede/n einzelne/n und seinen/ihren Charakter.

Dieter Simon formuliert mit seinem radikalem Ansatz: „Die nackten objektiven Fakten (facta) erweisen sich als von facere = machen abgeleitete Gemachte, als Tatsachen, die sich nicht unbeherrschten Ereignissen sondern Taten verdanken. Hinter der Subjekt/Objekttrennung und dem dadurch bewirkten Verlust der Objektivität erscheint die Geschichte nicht mehr als sinnstiftende und gesetzmäßig gestaltende macht, sondern nur mehr als eine Sammlung persönlicher Geschichten.“

Bisher erzählten Männer ihre Geschichte als die Geschichte, wenngleich Frauen Geschichte in Geschichten codiert weitergaben und gestalteten. Gegenwärtig ist die Tendenz der Juristinnen, Rechtsanwältinnen und Staatsanwältinnen steigend und mit dem Anstieg der Frauen nicht nur in diesem Bereich wird sich proportional auch die Geschichte der Frauen, die Geschichte ganz allgemein und damit auch die Zukunft stark ver/ändern.

Unterstützt wird diese Bewegung durch die neuen Technologien, besonders der Informationstechnologien – eine neue transnationale Ordnung aus Netzwerken, Kommissionen, Regime und Mehrebenensystemen wissen Frauen immer mehr für sich zu nutzen.

Geschichte wurde lange Zeit gleichsam einseitig gesehen, gedacht und geschrieben – gleichsam wie auf einem Bein stehend. Dann wurde der männliche Blick durch den weiblichen ergänzt. Geschichte auf zwei Beinen sozusagen.

Um zur Wirklichkeit des Ganzen zu gelangen braucht es beide, beide Gegensätze.

Durch ein Drittes  ergänzt kommt die Geschichte nun in die gegenwärtigen Jahre.

War bisher der Blick tendenziell auf jene Macht gerichtet, die Krieg schafft, Siege mittels Vernichtung der Feinde legitimierte und glorifizierte, so wendet sich die Blickrichtung wieder auf das Lebendige, wendet sich von der Schattenseite der Lichtseite zu.

Erkämpft und mitgetragen wurde dieser Perspektivenwechsel von Frauen. Dabei war der Zugang der Frauen zur Bildung, der lange ausschließlich im Machtbereich der Kirche und des autoritären Staates lag ein wesentlicher Wirkfaktor. Symbolisiert wird dieser auch durch das Nicht-Hierarchische, das Vernetzte und die Körperlichkeit, die von der Idee der Idee fast vernichtet worden war.

Die moderne Physik gesteht ein, dass es wie bisher angenommen, keine strengen Naturgesetze gibt: Tendenzen, Möglichkeiten Wahrscheinlichkeiten sind die Parameter. Materie ist nicht aus Materie aufgebaut sondern Folge immaterieller Beziehung/en. Unauflösbar ist alles mit allem verknüpft – die Welt, die Wirklichkeit beruht auf einer ganzheitlichen Struktur. Der bisherige Glaubensatz Materie ist Voraussetzung für Beziehung ist ausgetauscht in Beziehung kreiert Materie. Die Denkräume des 19. Jh. wurden aufgrund der neuen Erkenntnisse kaum adäquat dem 21. Jh. angepasst – wir befinden uns in den Anfängen dieses Prozesses.

Die Definition bzw. der Übergang von toter Materie/lebendigen Organismen beruht nach wie vor auf veralteten klassischen Begriffen – denn wie die Physik es heute sieht, basieren Leben wie Tod auf immateriellen Beziehungen.

Gegenwärtig herrscht der Trend zur Erinnerung, was sich in Museen, Gedenkstätten u.a. zeigt. Zu interpretieren als noch einmal festhalten, ehe Altes, Vertrautes losgelassen werden muß? Das Neue kann nicht adäquat mit alten Kategorien beschrieben werden und die Qualität der KünstlerInnen und ihrer Werke ermöglicht eine neue Sicht/Interpretation der Tradition.

 

VI.
Welche Auswirkungen eine globale Demokratie, so sie jemals realisiert wird, haben wird, was sie ermöglichen wird und durch welche Symbole sie verkörpert werden wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Nationales und Übernationales friedlich vernetzt – eine Utopie? Die individualisierte Gesellschaft will Autonomie bei gleichzeitigem Schutz durch staatliche Wohlfahrtsinstitutionen, was Freiheiten aber auch Abhängigkeiten zeitigt. Soziale Kompetenzen (Zuwendung, Solidarität,…) reduzieren sich im Privaten.

Die Realität wird eine Netzwerkwirtschaft sein, in der es keine VerkäuferInnen und KäuferInnen geben wird sondern VersorgerInnen und KlientInnen. Das Rundum-Sorglos-Paket wird der Renner und jede Beziehung außerhalb des privaten Bereichs (Familie oder wie die Lebensform auch heißen möge) wird eine bezahlte Erfahrung sein. Anschaulich an dem Beispiel Auto: Jede/r hat das Auto geleast und diese Firma will die zufriedenen KlientInnen an sich binden und bietet also billigeren Benzin, billigere Reparaturen, bessere Inspektionen und Versicherungen sowie freies Parken in allen Städten, Autowäsche etc etc an.

Die Machtkonzentration dieser Netzwerke wird wesentlich größer sein als jene der bisherigen Marktwirtschaft und damit die Möglichkeit durch Medienkonzerne Ideen und Kultur zu kontrollieren. Kultur – Kommerz werden erst nach extremen Positionen kurzfristig einmal in ein Gleichgewicht kommen, ehe ein weiteres neues Zeitalter mit dem ihm eigenen Themen anbricht.

Rudolf de Cillia meint, dass „geschätzte 80% der auf Computer gespeicherten Information ist in Englischer Sprache abgespeichert. So keine starke Gegenströmung auftritt, wird es am Ende des 21.Jh. nur noch fünf Weltsprachen geben: Englisch, Chinesisch, Spanisch, Arabisch und Hindi. Deutsch u.a. hätten den Status regionaler Dialekte. Heute werden in zwischen 2500 und 8000 Sprachen gesprochen und zum Teil auch geschrieben. 30% dieser Sprachen sind in Afrika und Asien, weitere 20% im Pazifik, 16% auf dem amerikanischen Kontinent und 2% in Europa beheimatet. Die genannten 5 größten Sprachen werden von 45% der Weltbevölkerung gesprochen. Nur 155 Sprachen werden von mindestens 1 Mill. Menschen gesprochen.“

Der Stellenwert der Wahrung der Sprachenvielfalt scheint zumindest in Europa ein hoher zu sein, als Preis für die Vereinigung der Nationen und somit ein Faktor kultureller Vielfalt zu sichern. Denn jede Sprache ist nicht nur Kommunikationsmittel, ist nicht nur Symbole individueller und kollektiver Identität sondern auch Ausdruck von Weltanschauung, Denken und Wirklichkeitserleben.

Friedliche Multikulturalität stellt sich in einer Einheitskultur nicht mehr als Problem. Das Fremde, das Herausfordernde, das vielen BewohnerInnen europäischer Länder Angst macht und Abwehr erzeugt wäre dann der ersehnte Ausweg der Einbahn. Vielfalt bereichert das Leben.

In der deutschen Sprache werden nicht nur immer mehr Anglizismen aufgenommen, es werden auch neue Worte geschaffen mit sogenanntem plastikartigen Legocharakter, die ein Fachvokabular substantiver Art bilden, denen gemeinsam ist, dass sie Bewegungsbegriffe sind mit vorherrschendem Zukunftsaspekt, Entwicklungsbilder, die einen Handlungsdruck erzeugen (und aus dem naturwissenschaftlich-technisch-ökonomischen Bereich kommen). Herkömmliche soziale Normen verlieren an Bedeutung und werden durch keine neuen ersetzt. War bisher die Sprachkritik von wesentlicher Bedeutung so kommt diese nun der Bildkritik zu.

Kann anstatt von einer Informations- oder Wissensgesellschaft besser von einer Aufmerksamkeitsökonomie als Fundament für die Strukturen der auf Medien und vor allem auf digitalen Medien sich entwickelnden Gesellschaftsform gesprochen werden? 

Natürlich konnte Aufmerksamkeitsverlust bisher bereits tödlich sein – doch unter den neuen technischen Möglichkeiten und dem Tempo im Medienbereich gelangt die Inszenierung immer mehr ins Zentrum des Anliegens, um eben die Aufmerksamkeit der KonsumentInnen zu erreichen. Für die KonsumentInnen selbst gilt es die Aufmerksamkeit auf Wesentliches zu richten um optimal zu filtern und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Hier kann zu einem philosophischen Diskurs angesetzt werden: relativiert sich das Richtige zum einfachen Resultat? Tempo vor Inhalt, Tempo vor Ethik? Wenn keine Zeit für fundierte Auseinandersetzung bleibt, Zugzwang besteht herrscht das Unbewusste, herrschen Vorurteile vor. Die Konsequenzen malen Sie sich bitte selbst aus. Ersparen sie mir das. Ich weise nur darauf hin, dass unser Unvermögen ausgelagert wird – dh Instanzen der Aufmerksamkeitsselektion werden virtuelle AgentInnen, Filterprogramme u.a.m. sein, ja sind es bereits.

 

VII.
Das menschliche körperliche Sinnessystem erfasst minimalste Ausschnitte der Welt. Durch technische Hilfsmittel kann diese Welt erweitert werden. Aber: Wer macht sich schon Gedanken über Wissenswert und/oder Wißbar, unterscheidet, setzt Prioritäten und Akzente? Zeitgemäß in zwei wunderbare Worte gefasst wie overnewsed and underinformed.  Wer fragt nach dem Preis, was dieses mehr bringt und kostet? Viele leiden nicht nur beruflich und privat unter information overload sondern auch über communication overload.
Die Zentren der Macht sind weiterhin als die Schwarzen Löcher der Informationsgesellschaft, die alles aufsaugen und nichts preigeben, zu verstehen. Die Frage stellt sich radikal: Wer lebt für uns unser Leben?

Bis die zuvor beschriebenen Technologien im Alltag dominieren, üben wir aufgrund unserer Umwelt und Umgebung, uns im immer besseren Erkennen von abstrakten Mustern, immer besser räumlich zu orientieren, Entscheidungen zu treffen und abstrakte Probleme zu lösen und können uns schneller Neues aneignen. Und die Frage stellt sich radikal: Was macht das Leben noch lebenswert?

Ist es die beinahe tödliche Langeweile, die trotz aller overloads eintritt, die paradoxerweise davor dazu geführt hat? Erleben wir, weil wir soviel gleichzeitig erleben (kochen, kommunizieren mit dem Kind, hören/sehen TV nebenbei und denken gleichzeitig über das Treffen morgen mit der Chefin nach während das Handy läutet)  dadurch gar nichts mehr? Weil ein Zuviel ein Gar-nichts-mehr ist.

Hinzugefügt sei, dass diese Themenstellung im Moment nur die sog. 20% Gewinnerinnen dieser Welt betrifft. 80% der Erdbevölkerung sind unter dem Einkommens- und Vermögensaspekt VerliererInnen. Und zweifelsohne sind es immer noch Frauen, die auf allen Ebenen weltweit verloren haben und weiterhin verlieren, darüber dürfen die wenigen Siege, die an dieser Stelle  gewürdigt seien, nicht hinwegtäuschen. Welche Aufmerksamkeit kommt den Frauen und ihren Forderungen und Wünschen weltweit politisch zu?

Im Wissenschaftsbereich ziehen lt Rötzer 2% der WissenschaftlerInnen bis zu 90% der Aufmerksamkeit ihrer KollegInnen auf sich. Für diesen Fall gilt: Was wir nicht wahrnehmen, darüber wissen wir nichts. Stellt sich die Frage: Welchen Illusionen hängen wir an bzw. nach? Inwieweit ist Kunst und Kultur ebenso davon betroffen, die Aufmerksamkeit zu erhalten und welcher Veränderungsprozess wird dadurch ausgelöst!
VIII.
Das Ideal für die Kids der dot.com-Welt ist nicht die Autonomie sondern das Gegenteil, Access – die Verbundenheit und Anbindung an das Netzwerk, zu dem der Zugang die Voraussetzung ist. 75% der Weltbevölkerung sind gegenwärtig von diesen Zugangsmöglichkeiten ausgeschlossen. Für jene, die das Kids-Alter überschritten haben hat ihre kommerzielle Verfügbarkeit rund um die Uhr zur Folge. Dass dies als keine Lebensqualitätssteigerung interpretiert werden kann, ist nachvollziehbar.

Es kommt auf jede/n einzelne/n und jene staatlich und wirtschaftlich produzierte Infra/Strukturen an, ob die IT sich als eine Bereicherung und/oder  als eine Substitution zur Auswirkung kommen wird.

Es besteht eine dringende Notwendigkeit, Begriffe wie Freiheit, Autonomie und Demokratie auf ihre alten und  neuen Inhalten kritisch und immer wieder zu hinterfragen und Zusammenhänge aufzudecken wie jene in der Pharmaindustrie: lag der Schwerpunkt bisher möglichst viele Medikamente mit höchster Gewinnspanne zu verkaufen (was am effizientesten mit vielen Kranken erreicht wurde) so wendet sich das Augenmerk auf gesund werden lassen und halten, damit die mit ihnen kooperierenden Krankenversicherungen und Krankenhäuser durch weniger Operationen, Medikamente etc. weniger Ausgaben haben und den damit errungenen erhöhten Gewinn nun denselben mit ihnen zum Dank teilen.

Die Zukunft findet durch unser gegenwärtiges Denken statt. Und beides stimmt: der Flügelschlag eines Schmetterlings in Japan kann einen Sturm in den USA hervorrufen und mit mathematisch errechneter Wahrscheinlichkeit wird die Welt von Menschen vernichtet werden. Die Old Economy hat physische Ressourcen zerstört (Erdöl, Tier- und Pflanzenarten, die Balance der Stoffe in der Atmosphäre u.a.m.). Ist die Gefahr der New Economy psychische und kulturelle Ressourcen (Zeit- und Beziehungen haben sowie Werte, Ideen, Konzepte) zu vernichten? Liegt in der Vergegenwärtigung des Problems die Chance? War früher Herrschaft über die Welt das Ziel, ist es heute die Verfügungsgewalt über unser Innen?

 

IX.
Männliches Wissenschaftsdenken trennte Rationalität und Emotionalität, stellte sie als Gegenpole dar, die einander bekämpften, ausschlossen. Dem Geist der Zeit entspricht nun die Erkenntnis, dass das Eine nicht ohne dem Anderen nicht nur nicht sein kann sondern auch nicht ist. Es gibt keine Wahrnehmung ohne Gefühl oder Erinnerung, es gibt kein Gefühl ohne Gedächtnis oder Denken, es gibt kein Wollen ohne Wahrnehmen, Erinnern oder Bewerten. (Ernst Pöppel)

Noch gibt es keine/kaum Visionen einer IT-Gesellschaft. Möge die Übung im obigen Sinn gelingen und eine Befriedung, ein kooperatives Miteinander von Vertrautem und Fremden, Dir und mir möglich sein. Friede mit euch und mit uns!

Machen wir uns bewusst, dass aus Kultur (Immaterielles) Struktur (Materielles) wird, nicht nur im Außen, auch im Innen, im Gehirn, ganz körperlich.

Wir kreieren uns und die nächste Generation und damit die Welt und deren Zukunft selbst. Dieses Wissen macht Angst, birgt es doch alle Möglichkeiten und alle Freiheiten.
Auf dem Totenbett erkennt Don Quijote plötzlich den „Unsinn und die Verworfenheit“ der gelesenen Bücher. Diese Einsicht, so klagt er, kommt sehr spät. Zu spät wohl nicht und doch: Was wäre anders gekommen, hätte er seine Erkenntnis früher gehabt oder gar nicht mehr in diesem Leben?

Was erkennen wir, seine Verwandten 311 Jahre später? Zu spät oder doch rechtzeitig?
Die Zukunft ist ständiger Veränderungen unterworfen, die Zukunft und die Zeit sind wir selbst. Wir sind ständiger Veränderungen nicht nur unterworfen, nein wir haben auch die Freiheit, diese zu gestalten. Jedes Ich schafft Raum und Zeit in der Welt in der sich das Leben prozesshaft entwickelt, es entwickelt werden kann. Und das Ich ist nicht isoliert, kann nie isoliert sein, verwebt, verwoben die Menschheit.

 


erben

November 29, 2015

Meine erste Assoziation, als ich die Einladung erhielt zum Thema „Erbe“ zu schreiben, war: „Immaterielles Kulturerbe“. Erstaunlich, oder?

Zum Immateriellen Kulturerbe (http://www.unesco.at/kultur/immat_kulturerbe.htm) zählen Praktiken, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes verstehen. Konkret umfasst das immaterielle Kulturerbe mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, darstellende Künste, das Wissen und die Praktiken in Bezug auf die Natur und das Universum, gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste sowie traditionelle Handwerkstechniken.

Das UNESCO Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes, welches im Rahmen der 32. Generalversammlung der UNESCO im Jahr 2003 beschlossen wurde, hat sich den weltweiten Schutz des immateriellen Kulturerbes zum Ziel gesetzt. Seit der österreichischen Ratifizierung des Übereinkommens im Jahr 2009 ist die Österreichische UNESCO-Kommission mit der nationalen Umsetzung des Übereinkommens betraut. Zu den Hauptaufgaben zählen dabei die Förderung von Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung für die Erhaltung, Vermittlung und Förderung des immateriellen Kulturerbes in Österreich sowie die Erstellung eines österreichischen Verzeichnisses des immateriellen Kulturerbes. Derzeit befinden sich mehr als 80 Traditionen in dem österreichischen Verzeichnis und erstmals zwei österreichische Traditionen („Falknerei“ und „Fasnacht Imst – Schemenlaufen“) auf der internationalen „Repräsentativen Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit“.

Ich will mehr wissen und schau im Duden nach und lese:

Das Erbe (die Hinterlassenschaft) war bereits bei den Germanen und Kelten ein Rechtsbegriff (Duden Band 7 von 10 Dudenverlag 1963) im Zusammenhang mit dem verwaisten schutzlosen Kind und bedeutete ursprünglich „Waisengut“. Heute wird als Erbe / Erbin der/die NachlassempfängerIn und das Vermögen als Erbschaft bezeichnet.
Die Verben erben / beerben / vererben reimen sich auf sterben. Zufällig?

Sterben war ein verhüllender Ausdruck von starr werden und ist (Marko Ikonic http://sterbekultur.uni-graz.at/ps/ikonic_marko.pdf )seit dem 9. Jh. bezeugt und eigentlich ein Euphemismus. Das ‚verbotene‘ Wort wurde mittels zahlloser Ausweichbegriffe umschifft (wie z. B. mit umkommen, verrecken, Harakiri begehen, auf dem Friedhof landen, …). Die rekonstruierte west-germanische Wurzel lautet *sterb-a-. Als weitere Bezüge sind die zu altfranzösisch sterva, altenglisch steorfan und altnordisch Stjarfi zu nennen, wobei letzteres Wort mit der Bedeutung ‚Starrkrampf‘ noch besonders deutlich auf das semantische Grundkonzept des ‚Erstarrens‘ verweist während das englische starve durch Bedeutungsverengung heute den Tod durch Verhungern bezeichnet.

Was also bedeutet für mich das Leben und Sterben? Was bedeutet für mich immaterielles Kulturerbe? Ohne zu zögern denke ich: Labyrinth. Das Labyrinth ist ein materielles und immaterielles Erbe zugleich, wenngleich niemand weiß, wer die Erblasser_nnen waren.

Das materielle Erbe ist die labyrinthische Struktur.
klassisch_struktur_rechts klassisch_faden_rechts

Abb.: Erwin Reissmann https://blogreissmann.wordpress.com/

Das Labyrinth ist Erbe, ist Hinterlassenschaft von Unbekannten. Ich bin die Waise, das verwaiste schutzlose Kind, das Schutz und Heimat erfährt durch das Labyrinth, Schutz und Heimat mit dem Labyrinth und Schutz und Heimat im Labyrinth.
Klingt seltsam, oder?
War es dazu gedacht? Ich zweifle keine Minute. Der Zeitbogen spannt sich über 5000 Jahre. Das Erbe liegt vor uns Erb_innen.
Welchen Schutz und welche Heimat bietet das Labyrinth? Im Mahabharata (Verfilmt von Peter Brook https://www.youtube.com/playlist?list=PLB6D851FFCF7F946F ) ist es ebenso zu finden wie an einem Türstock in Zürich – zur Abwehr böser Geister.
Was macht das Labyrinth mit uns Menschen? Was machten / machen wir Menschen mit dem Labyrinth?

Ein Teil meiner Antwort sind die zwei Gedichte. Der Erfahrungsraum, das gemeinsam Gespräch ist damit eröffnet. Machst du dich auf den labyrinthischen Weg, das immaterielle Kulturerbe antretend ?

Das immaterielle Erbe ist die Erfahrung, sich durch diese Struktur zu bewegen. Schritt für Schritt diesen gehend zeigt sich der Ariadnefaden.

Aus meinem Lyrikband labyrinthisches leben & labyrinthischer tod (Erschienen in der Edition IK 2015,
Bestellmail: verein-ik@aon.at )
zwei Gedichte

 

es ist
ein hin und
ein her
ein auf und
ein zu
ein schauen
und schlafen
ein leben
ein sterben
ein geboren werden
und vergehen
ein nass
und ein trocken werden
ein frieren
und schwitzen
ein schlucken
und spucken
ein gehen
ein stehen
ein hören
und taubsein
ein hungern
und sattsein
ein begreifen
und nichtverstehen
ein öffnen
und verschließen
ich bin
ein strafen
und sich selbst strafen
ein tief tauchen
und auftauchen
ein bewegtsein
und ein trösten
ein erschöpftsein
und schweben aus glück
ein vorwärts eilen
und rückwärtsgehen
danke
für deine
Geduld
deine
Ungeduld
erkenne ich
in mir

 

ein weitere text zum thema zeit

 

die zeit
zeichnet die steine
die zeit
zeichnet die welt
die zeit
zeitigt dich
der raum
atmet die steine
der raum
atmet die welt
der raum
beraumt dich
in zeiträumen
leben
in raumzeiten
sterben
das leben
träumt dich

 

Das Labyrinth ist Erbe, ist Hinterlassenschaft von Unbekannten. Ich bin die Waise, das verwaiste schutzlose Kind, das Schutz und Heimat erfährt durch das Labyrinth, Schutz und Heimat mit dem Labyrinth und Schutz und Heimat im Labyrinth.

Klingt seltsam, oder?
War es dazu gedacht? Ich zweifle keine Minute. Der Zeitbogen spannt sich über 5000 Jahre. Das Erbe liegt vor uns Erb_innen.

Welchen Schutz und welche Heimat bietet das Labyrinth? Im Mahabharata (Verfilmt von Peter Brook https://www.youtube.com/playlist?list=PLB6D851FFCF7F946F ) ist es ebenso zu finden wie an einem Türstock in Zürich – zur Abwehr böser Geister.

Was macht das Labyrinth mit uns Menschen? Was machten / machen wir Menschen mit dem Labyrinth?
Ein Teil meiner Antwort sind die zwei Gedichte. Der Erfahrungsraum, das gemeinsam Gespräch ist damit eröffnet. Machst du dich auf den labyrinthischen Weg, das immaterielle Kulturerbe antretend ?

 


ehe der winterschnee sich über das land legt

November 29, 2015

ehe der winterschnee
sich über das land legt
zeit
ist ein regenbogen
erfahrbar
doch nie greifbar
in diesem sinne
ein willkommen der zeit,
die gerade kommt !


kann das alles zufall sein ?

April 29, 2008

so nennt das sich aktuelle buch
von heinz oberhummer
der sich als astro-und kernphysiker (an der TU wien)
mit dem geheimnissvollen universum beschäftigt –
bzw. mit den multiversen …

verständlich geschrieben, wunderbar bebildert
und impulsgebend,
das eigene weltbild zu reflektieren,
sich neues wissen anzueignen,
die vorstellungen zu revidieren, ergänzen etc.

eine anregung, darüber zu diskutieren,
zu staunen, zu bewundern, zu genießen …

und was das alles mit dem labyrinth zu tun hat?
nun, der weg durchs labyrinth –
der weg durchs universum?

viel spass beim lesen des buches,
das ich sehr empfehle !