Don Quijote und seine Verwandten
Don Quijote. Gezeugt von Miguel de Cervantes. Seine Mutter, die Lebenserfahrung, trug das Ihre dazu bei. Don Quijote. 1605 im Gefängnis geboren.
Ich werfe alte Fragen wieder auf.
Kann übermäßige Literatur den Verstand rauben?
Don Quijote war offenbar ihr Opfer. Oder ist gar die Literatur Opfer Don Quijotes, der gegen Windmühlen kämpfte und den Kampf natürlich nur verlieren konnte?
Die Fragen haben sich in den vergangenen 311 Jahren transformiert.
Heute lauten sie: Kann übermäßiger PC-Smartphone-Konsum den Verstand rauben? Wer stürzt sich nicht gerne todesmutig in Abenteuer und Gefahren der digitalen virtuellen Spielwelt? Vielleicht, um das Unrecht zu bekämpfen? Vielleicht um ewigen Ruhm an den eigenen Namen zu heften?
Ist Rosinantes Name heute „youtube“ ?. Kann Dulcinea von Toboso heute nicht jeden Namen tragen? Sancho ein Roboter?
Don Quijote. Hatte er Verwandte? Tanten, Onkeln, Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins? Auch diese Frage stellt sich: Bin ich, wenn schon keine direkte Nachfahrin nicht eine Verwandte? Und wer sind all die anderen Verwandten?
Hier sei Rose Ausländer zitiert:
Dialog
Endlos
der Dialog
Du und die Blume
du und der Stern
du und dein Mitmensch
Ununterbrochene
Zwiesprache
Funke an Funke
Der König in dir
der Bettler in dir
Deine Verzweiflung
deine Hoffnung
Endloser Dialog
mit dem Leben
I.
Die ursprüngliche Realität und Wirklichkeit aller Menschen bildete ihr Sein in einer Umwelt ohne jegliche elektronischer Unterstützung oder elektronischer Hilfsmittel. Basierend auf dem Körper mit dessen physischen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten galt es, das Lebens zu leben.
Die Voraussetzungen zum Überleben, die Funktionen für Wahrnehmung, Aufnahme und Umsetzung sowie Anwendung und auch jene für Kommunikation waren ausreichend. Diese Basis bildete auch das Potential von Entwicklungen.
Den menschlichen auf allen Ebenen und in allen Bereichen begrenzten Körper zu entgrenzen, diese vorgegebenen Grenzen zu überschreiten, war von Anbeginn ein menschliches Ziel und ist es heftiger denn je.
Das NEIN zur Grenze, das Nein zur Begrenzung, das Nein zu jeglicher Ein- und Beschränkung, ein Nein dem Ausschluss, wählen zu können. Dieses Nein ist Rebellion. Rebellion gegen jene Macht und Kraft, die verwehrt. Aufstand!
Aufstand verkörpert vom Liegen oder Sitzen in den Stand, ins Stehen zu kommen. Aus einer Ruhelage in eine Position eines möglichern Schritts. Weitere Schritte werden zu einem Weg.
Aus dem Paradies kommend haben Menschen auch das JA in sich. Ein Ja zur Grenze, ein Ja zum Bleiben, ein Ja zum An-die-Grenzen-Gehen und nicht darüber hinaus und ein Ja für das Zum-Zentrum-Kommen und Im-Zentrum-Sein.
II.
Mit den neuen Technologien kann die Körpergrenze nun erweitert und überschritten werden. Das Internet gilt als die in der Außenwelt realisierte Möglichkeit der Vernetzung analog zum Gehirn. Das traditionelle Sein beginnt sich mit elektronischen Objekten parallel zur bisherigen Realität und Wirklichkeit zu verbinden. Die Möglichkeit, sich Chips in den Körper implantieren zu lassen und damit bisher (auch art-)fremde Qualitäten zu integrieren, wurde zur Realität.
Zeitgleich zu diesem Weg wird auch ein gänzlich Entgegengesetzter beschritten: Konnten bisher mentale Kräfte nicht nachgewiesen werden, so können diese nun sogar sichtbar gemacht werden. Was bisher als unglaublich galt wurde im wahrsten Sinn des Wortes aus Unglauben ausgeschlossen.
Weil sehr anschaulich sei jene Versuchsanordnung exemplarisch genannte, in der Menschen über Elektroden am Kopf durch die Kraft ihrer Gedanken Objekte in Bewegung setzen. Was bisher als paranormal galt, ist mit etwas Übung von jeder/jedem bei der Steirisches Landesausstellung 2000 mit einer Erfolgsrate von 80% zu erreichen gewesen.
Was ist das menschliche Wesen? Als was wurde es bisher interpretiert, als wird es heute definiert? Wohin kann/soll es (gen/technisch) verändert werden? Welche Möglichkeiten sind noch unausgeschöpft? Was soll warum wie erreicht werden?
III.
Die menschliche Existenz mündet durch vermehrten Einsatz und vermehrte Anwendung elektronischer Objekte außerhalb und innerhalb des Körpers in eine (freiwillige) Isolation, paradox zum grenzenlosen Vernetzsein. Die Emotionalität, mit der sich die BenützerInnen an diese Maschinen koppeln, ist hoch, wie das Bedürfnis nach Sozialkontakten, Gruppenidentitäten zu bilden bzw. einer Gruppe anzugehören (Ö3 Gemeinde, geekchic etc.) zeigt, das auch befriedigt werden will.
Weiters findet eine Beschleunigung aller Lebensvorgänge statt, die nicht nur eine weltanschauliche Entscheidung ist sondern ebenso eine des wirtschaftlichen Umfeldes.
Das Gleichgewicht der Parallelwelten, Balance von Innen und Außen, Ich und Du, Wir und Ihr, zu halten, ist gefragt. Balance. Kein Übergewicht, kein Untergewicht – im Gleichgewicht. Ist dieses Gleichgewicht ein Stabiles, wird es zur Starre – die Lebensenergie bläst und schon ist eine Ungleichgewichtung wieder da. Wie ein kindliches Gleichgewichts-Spiel: in Balance – aus der Balance – in die Balance u.s.w., so ist das Leben als solches.
IV.
Es geht bei der Balance auch ums Machen und damit auch um Macht ...
Zum einen die Macht über die eigenen Gedanken. Zum anderen die Kreation von Scheinwelten, Ununterscheidbarkeit zwischen Realen/Virtuellen Welten und von Informationsströmen ermöglicht Macht über andere. Die Auflösung des Wahrheits-Begriffs ist die Konsequenz davon.
Sind bei materiellen Begegnungen Sinn-Erfahrungen gegeben (tasten, riechen, sehen, hören, ev. schmecken) kombiniert mit Sympathie, weitgefächerten Assoziationen bisher gemachter Erfahrungen bzw. Koppelung mit diesen (was Vorurteile/Urteile zur Folge hat) – so ermöglicht die virtuelle Begegnung Reduzierung derselben bei gleichzeitiger Ausweitung der Maskenkapazitäten. Das bedeutet, dass andere Identitäten angenommen werden können, die indirekt mit der ursprünglichen Identität verbunden sind und nie frei davon sein können und dennoch Gegenpole bilden können.
Die Vielfalt scheint eine fast unbegrenzte zu sein, was diese jedoch nicht ist. In Distanz wird sprachlich bzw. in Piktogrammen kommuniziert wobei Abstraktes von der Sendenden sich verkörpert bei der Empfangenden. Der Rollenwechsel ist ein stetiger beim Dialog. Das Verkörperte erzeugt/ist Realität bzw. Projektionsfläche. Dabei nähert sich der Wert des Wahrheitsgehalts der Null. Wenn die Ursprungsidentität als jene angenommen wird, die sich im Prozess der Wandlung zur Pluralität selbst wandelt, wird die Virtuelle Wirklichkeit bei dieser Entwicklung die einzige Wirklichkeit und damit muss Wahrheit neu definieren werden.
V.
Zu der Frage: Don Quijotes Verwandte? gesellt sich konsequenter Weise ihr Gegenstück: Don Quijotes Nicht-Verwandte.
Das menschliche Wesen vermag auf sich selbst einzuwirken – mit und auch ohne seinem Bewusstsein. Unabhängig davon entwickelt sich das Bewusstsein evolutionär weiter. Vom Erdenstaub zum Licht sozusagen.
Es gibt auf Erden nichts Ewiges, schon gar kein ewiges Recht. Recht ist etwas Historisches, Veränderliches, Vergängliches. Geschaffen von MachthaberInnen.
Es passt sich chamäleonartig gesellschaftlichen Veränderung an, weil es ebendiese widerspiegelt, sichtbar werden lässt. Oft registrieren wir dies selbst innerhalb eines Regierungswechsels (auch in Demokratien wie der unseren).
Wie es aus der Quantenphysik bekannt ist, beeinflusst sogar der/die BeobachterIn das beobachtete Objekt/Geschehen. Nicht anders geht es zu bei Gericht zwischen RichterIn und Fall. Und so kann logischerweise auf nichts vertraut werden nur in jede/n einzelne/n und seinen/ihren Charakter.
Dieter Simon formuliert mit seinem radikalem Ansatz: „Die nackten objektiven Fakten (facta) erweisen sich als von facere = machen abgeleitete Gemachte, als Tatsachen, die sich nicht unbeherrschten Ereignissen sondern Taten verdanken. Hinter der Subjekt/Objekttrennung und dem dadurch bewirkten Verlust der Objektivität erscheint die Geschichte nicht mehr als sinnstiftende und gesetzmäßig gestaltende macht, sondern nur mehr als eine Sammlung persönlicher Geschichten.“
Bisher erzählten Männer ihre Geschichte als die Geschichte, wenngleich Frauen Geschichte in Geschichten codiert weitergaben und gestalteten. Gegenwärtig ist die Tendenz der Juristinnen, Rechtsanwältinnen und Staatsanwältinnen steigend und mit dem Anstieg der Frauen nicht nur in diesem Bereich wird sich proportional auch die Geschichte der Frauen, die Geschichte ganz allgemein und damit auch die Zukunft stark ver/ändern.
Unterstützt wird diese Bewegung durch die neuen Technologien, besonders der Informationstechnologien – eine neue transnationale Ordnung aus Netzwerken, Kommissionen, Regime und Mehrebenensystemen wissen Frauen immer mehr für sich zu nutzen.
Geschichte wurde lange Zeit gleichsam einseitig gesehen, gedacht und geschrieben – gleichsam wie auf einem Bein stehend. Dann wurde der männliche Blick durch den weiblichen ergänzt. Geschichte auf zwei Beinen sozusagen.
Um zur Wirklichkeit des Ganzen zu gelangen braucht es beide, beide Gegensätze.
Durch ein Drittes ergänzt kommt die Geschichte nun in die gegenwärtigen Jahre.
War bisher der Blick tendenziell auf jene Macht gerichtet, die Krieg schafft, Siege mittels Vernichtung der Feinde legitimierte und glorifizierte, so wendet sich die Blickrichtung wieder auf das Lebendige, wendet sich von der Schattenseite der Lichtseite zu.
Erkämpft und mitgetragen wurde dieser Perspektivenwechsel von Frauen. Dabei war der Zugang der Frauen zur Bildung, der lange ausschließlich im Machtbereich der Kirche und des autoritären Staates lag ein wesentlicher Wirkfaktor. Symbolisiert wird dieser auch durch das Nicht-Hierarchische, das Vernetzte und die Körperlichkeit, die von der Idee der Idee fast vernichtet worden war.
Die moderne Physik gesteht ein, dass es wie bisher angenommen, keine strengen Naturgesetze gibt: Tendenzen, Möglichkeiten Wahrscheinlichkeiten sind die Parameter. Materie ist nicht aus Materie aufgebaut sondern Folge immaterieller Beziehung/en. Unauflösbar ist alles mit allem verknüpft – die Welt, die Wirklichkeit beruht auf einer ganzheitlichen Struktur. Der bisherige Glaubensatz Materie ist Voraussetzung für Beziehung ist ausgetauscht in Beziehung kreiert Materie. Die Denkräume des 19. Jh. wurden aufgrund der neuen Erkenntnisse kaum adäquat dem 21. Jh. angepasst – wir befinden uns in den Anfängen dieses Prozesses.
Die Definition bzw. der Übergang von toter Materie/lebendigen Organismen beruht nach wie vor auf veralteten klassischen Begriffen – denn wie die Physik es heute sieht, basieren Leben wie Tod auf immateriellen Beziehungen.
Gegenwärtig herrscht der Trend zur Erinnerung, was sich in Museen, Gedenkstätten u.a. zeigt. Zu interpretieren als noch einmal festhalten, ehe Altes, Vertrautes losgelassen werden muß? Das Neue kann nicht adäquat mit alten Kategorien beschrieben werden und die Qualität der KünstlerInnen und ihrer Werke ermöglicht eine neue Sicht/Interpretation der Tradition.
VI.
Welche Auswirkungen eine globale Demokratie, so sie jemals realisiert wird, haben wird, was sie ermöglichen wird und durch welche Symbole sie verkörpert werden wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Nationales und Übernationales friedlich vernetzt – eine Utopie? Die individualisierte Gesellschaft will Autonomie bei gleichzeitigem Schutz durch staatliche Wohlfahrtsinstitutionen, was Freiheiten aber auch Abhängigkeiten zeitigt. Soziale Kompetenzen (Zuwendung, Solidarität,…) reduzieren sich im Privaten.
Die Realität wird eine Netzwerkwirtschaft sein, in der es keine VerkäuferInnen und KäuferInnen geben wird sondern VersorgerInnen und KlientInnen. Das Rundum-Sorglos-Paket wird der Renner und jede Beziehung außerhalb des privaten Bereichs (Familie oder wie die Lebensform auch heißen möge) wird eine bezahlte Erfahrung sein. Anschaulich an dem Beispiel Auto: Jede/r hat das Auto geleast und diese Firma will die zufriedenen KlientInnen an sich binden und bietet also billigeren Benzin, billigere Reparaturen, bessere Inspektionen und Versicherungen sowie freies Parken in allen Städten, Autowäsche etc etc an.
Die Machtkonzentration dieser Netzwerke wird wesentlich größer sein als jene der bisherigen Marktwirtschaft und damit die Möglichkeit durch Medienkonzerne Ideen und Kultur zu kontrollieren. Kultur – Kommerz werden erst nach extremen Positionen kurzfristig einmal in ein Gleichgewicht kommen, ehe ein weiteres neues Zeitalter mit dem ihm eigenen Themen anbricht.
Rudolf de Cillia meint, dass „geschätzte 80% der auf Computer gespeicherten Information ist in Englischer Sprache abgespeichert. So keine starke Gegenströmung auftritt, wird es am Ende des 21.Jh. nur noch fünf Weltsprachen geben: Englisch, Chinesisch, Spanisch, Arabisch und Hindi. Deutsch u.a. hätten den Status regionaler Dialekte. Heute werden in zwischen 2500 und 8000 Sprachen gesprochen und zum Teil auch geschrieben. 30% dieser Sprachen sind in Afrika und Asien, weitere 20% im Pazifik, 16% auf dem amerikanischen Kontinent und 2% in Europa beheimatet. Die genannten 5 größten Sprachen werden von 45% der Weltbevölkerung gesprochen. Nur 155 Sprachen werden von mindestens 1 Mill. Menschen gesprochen.“
Der Stellenwert der Wahrung der Sprachenvielfalt scheint zumindest in Europa ein hoher zu sein, als Preis für die Vereinigung der Nationen und somit ein Faktor kultureller Vielfalt zu sichern. Denn jede Sprache ist nicht nur Kommunikationsmittel, ist nicht nur Symbole individueller und kollektiver Identität sondern auch Ausdruck von Weltanschauung, Denken und Wirklichkeitserleben.
Friedliche Multikulturalität stellt sich in einer Einheitskultur nicht mehr als Problem. Das Fremde, das Herausfordernde, das vielen BewohnerInnen europäischer Länder Angst macht und Abwehr erzeugt wäre dann der ersehnte Ausweg der Einbahn. Vielfalt bereichert das Leben.
In der deutschen Sprache werden nicht nur immer mehr Anglizismen aufgenommen, es werden auch neue Worte geschaffen mit sogenanntem plastikartigen Legocharakter, die ein Fachvokabular substantiver Art bilden, denen gemeinsam ist, dass sie Bewegungsbegriffe sind mit vorherrschendem Zukunftsaspekt, Entwicklungsbilder, die einen Handlungsdruck erzeugen (und aus dem naturwissenschaftlich-technisch-ökonomischen Bereich kommen). Herkömmliche soziale Normen verlieren an Bedeutung und werden durch keine neuen ersetzt. War bisher die Sprachkritik von wesentlicher Bedeutung so kommt diese nun der Bildkritik zu.
Kann anstatt von einer Informations- oder Wissensgesellschaft besser von einer Aufmerksamkeitsökonomie als Fundament für die Strukturen der auf Medien und vor allem auf digitalen Medien sich entwickelnden Gesellschaftsform gesprochen werden?
Natürlich konnte Aufmerksamkeitsverlust bisher bereits tödlich sein – doch unter den neuen technischen Möglichkeiten und dem Tempo im Medienbereich gelangt die Inszenierung immer mehr ins Zentrum des Anliegens, um eben die Aufmerksamkeit der KonsumentInnen zu erreichen. Für die KonsumentInnen selbst gilt es die Aufmerksamkeit auf Wesentliches zu richten um optimal zu filtern und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Hier kann zu einem philosophischen Diskurs angesetzt werden: relativiert sich das Richtige zum einfachen Resultat? Tempo vor Inhalt, Tempo vor Ethik? Wenn keine Zeit für fundierte Auseinandersetzung bleibt, Zugzwang besteht herrscht das Unbewusste, herrschen Vorurteile vor. Die Konsequenzen malen Sie sich bitte selbst aus. Ersparen sie mir das. Ich weise nur darauf hin, dass unser Unvermögen ausgelagert wird – dh Instanzen der Aufmerksamkeitsselektion werden virtuelle AgentInnen, Filterprogramme u.a.m. sein, ja sind es bereits.
VII.
Das menschliche körperliche Sinnessystem erfasst minimalste Ausschnitte der Welt. Durch technische Hilfsmittel kann diese Welt erweitert werden. Aber: Wer macht sich schon Gedanken über Wissenswert und/oder Wißbar, unterscheidet, setzt Prioritäten und Akzente? Zeitgemäß in zwei wunderbare Worte gefasst wie overnewsed and underinformed. Wer fragt nach dem Preis, was dieses mehr bringt und kostet? Viele leiden nicht nur beruflich und privat unter information overload sondern auch über communication overload.
Die Zentren der Macht sind weiterhin als die Schwarzen Löcher der Informationsgesellschaft, die alles aufsaugen und nichts preigeben, zu verstehen. Die Frage stellt sich radikal: Wer lebt für uns unser Leben?
Bis die zuvor beschriebenen Technologien im Alltag dominieren, üben wir aufgrund unserer Umwelt und Umgebung, uns im immer besseren Erkennen von abstrakten Mustern, immer besser räumlich zu orientieren, Entscheidungen zu treffen und abstrakte Probleme zu lösen und können uns schneller Neues aneignen. Und die Frage stellt sich radikal: Was macht das Leben noch lebenswert?
Ist es die beinahe tödliche Langeweile, die trotz aller overloads eintritt, die paradoxerweise davor dazu geführt hat? Erleben wir, weil wir soviel gleichzeitig erleben (kochen, kommunizieren mit dem Kind, hören/sehen TV nebenbei und denken gleichzeitig über das Treffen morgen mit der Chefin nach während das Handy läutet) dadurch gar nichts mehr? Weil ein Zuviel ein Gar-nichts-mehr ist.
Hinzugefügt sei, dass diese Themenstellung im Moment nur die sog. 20% Gewinnerinnen dieser Welt betrifft. 80% der Erdbevölkerung sind unter dem Einkommens- und Vermögensaspekt VerliererInnen. Und zweifelsohne sind es immer noch Frauen, die auf allen Ebenen weltweit verloren haben und weiterhin verlieren, darüber dürfen die wenigen Siege, die an dieser Stelle gewürdigt seien, nicht hinwegtäuschen. Welche Aufmerksamkeit kommt den Frauen und ihren Forderungen und Wünschen weltweit politisch zu?
Im Wissenschaftsbereich ziehen lt Rötzer 2% der WissenschaftlerInnen bis zu 90% der Aufmerksamkeit ihrer KollegInnen auf sich. Für diesen Fall gilt: Was wir nicht wahrnehmen, darüber wissen wir nichts. Stellt sich die Frage: Welchen Illusionen hängen wir an bzw. nach? Inwieweit ist Kunst und Kultur ebenso davon betroffen, die Aufmerksamkeit zu erhalten und welcher Veränderungsprozess wird dadurch ausgelöst!
VIII.
Das Ideal für die Kids der dot.com-Welt ist nicht die Autonomie sondern das Gegenteil, Access – die Verbundenheit und Anbindung an das Netzwerk, zu dem der Zugang die Voraussetzung ist. 75% der Weltbevölkerung sind gegenwärtig von diesen Zugangsmöglichkeiten ausgeschlossen. Für jene, die das Kids-Alter überschritten haben hat ihre kommerzielle Verfügbarkeit rund um die Uhr zur Folge. Dass dies als keine Lebensqualitätssteigerung interpretiert werden kann, ist nachvollziehbar.
Es kommt auf jede/n einzelne/n und jene staatlich und wirtschaftlich produzierte Infra/Strukturen an, ob die IT sich als eine Bereicherung und/oder als eine Substitution zur Auswirkung kommen wird.
Es besteht eine dringende Notwendigkeit, Begriffe wie Freiheit, Autonomie und Demokratie auf ihre alten und neuen Inhalten kritisch und immer wieder zu hinterfragen und Zusammenhänge aufzudecken wie jene in der Pharmaindustrie: lag der Schwerpunkt bisher möglichst viele Medikamente mit höchster Gewinnspanne zu verkaufen (was am effizientesten mit vielen Kranken erreicht wurde) so wendet sich das Augenmerk auf gesund werden lassen und halten, damit die mit ihnen kooperierenden Krankenversicherungen und Krankenhäuser durch weniger Operationen, Medikamente etc. weniger Ausgaben haben und den damit errungenen erhöhten Gewinn nun denselben mit ihnen zum Dank teilen.
Die Zukunft findet durch unser gegenwärtiges Denken statt. Und beides stimmt: der Flügelschlag eines Schmetterlings in Japan kann einen Sturm in den USA hervorrufen und mit mathematisch errechneter Wahrscheinlichkeit wird die Welt von Menschen vernichtet werden. Die Old Economy hat physische Ressourcen zerstört (Erdöl, Tier- und Pflanzenarten, die Balance der Stoffe in der Atmosphäre u.a.m.). Ist die Gefahr der New Economy psychische und kulturelle Ressourcen (Zeit- und Beziehungen haben sowie Werte, Ideen, Konzepte) zu vernichten? Liegt in der Vergegenwärtigung des Problems die Chance? War früher Herrschaft über die Welt das Ziel, ist es heute die Verfügungsgewalt über unser Innen?
IX.
Männliches Wissenschaftsdenken trennte Rationalität und Emotionalität, stellte sie als Gegenpole dar, die einander bekämpften, ausschlossen. Dem Geist der Zeit entspricht nun die Erkenntnis, dass das Eine nicht ohne dem Anderen nicht nur nicht sein kann sondern auch nicht ist. Es gibt keine Wahrnehmung ohne Gefühl oder Erinnerung, es gibt kein Gefühl ohne Gedächtnis oder Denken, es gibt kein Wollen ohne Wahrnehmen, Erinnern oder Bewerten. (Ernst Pöppel)
Noch gibt es keine/kaum Visionen einer IT-Gesellschaft. Möge die Übung im obigen Sinn gelingen und eine Befriedung, ein kooperatives Miteinander von Vertrautem und Fremden, Dir und mir möglich sein. Friede mit euch und mit uns!
Machen wir uns bewusst, dass aus Kultur (Immaterielles) Struktur (Materielles) wird, nicht nur im Außen, auch im Innen, im Gehirn, ganz körperlich.
Wir kreieren uns und die nächste Generation und damit die Welt und deren Zukunft selbst. Dieses Wissen macht Angst, birgt es doch alle Möglichkeiten und alle Freiheiten.
Auf dem Totenbett erkennt Don Quijote plötzlich den „Unsinn und die Verworfenheit“ der gelesenen Bücher. Diese Einsicht, so klagt er, kommt sehr spät. Zu spät wohl nicht und doch: Was wäre anders gekommen, hätte er seine Erkenntnis früher gehabt oder gar nicht mehr in diesem Leben?
Was erkennen wir, seine Verwandten 311 Jahre später? Zu spät oder doch rechtzeitig?
Die Zukunft ist ständiger Veränderungen unterworfen, die Zukunft und die Zeit sind wir selbst. Wir sind ständiger Veränderungen nicht nur unterworfen, nein wir haben auch die Freiheit, diese zu gestalten. Jedes Ich schafft Raum und Zeit in der Welt in der sich das Leben prozesshaft entwickelt, es entwickelt werden kann. Und das Ich ist nicht isoliert, kann nie isoliert sein, verwebt, verwoben die Menschheit.